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Review: Westworld | Staffel 1: Das Labyrinth (Serie)

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Die Vorteile, die die Möglichkeit des Streaming von mannigfachen Serien mit sich bringt, haben auch ihre Schattenseiten, wie ich jüngst feststellen musste, denn man macht sich natürlich im Grunde abhängig vom Angebot der Anbieter – in meinem Fall Amazon und Netflix – während insbesondere Blu-ray-Serienboxen gerne mal auf der Strecke bleiben, weil es so viel einfacher ist, mal eben eine App anzuwerfen, statt den Blu-ray-Player bemühen zu müssen. So kommt es auch, dass ich ausgerechnet die Serien meines Lieblingssenders HBO viel zu lange vernachlässigt habe, die schließlich mitunter Wegbereiter für die Art hochqualitatives Fernsehen sind, das wir heutzutage genießen können. Zudem punkten sie aber auch heute noch mit teils superben Serien, die ich jetzt sukzessive nachzuholen gedenke, was meines Erachtens ein grandioser Entschluss gewesen ist, denn allein die erste Staffel Westworld ist in meinen Augen ein Meilenstein des seriellen Erzählens, wie ich nachfolgend gerne ausführlich erläutern möchte.

Westworld
Staffel 1: Das Labyrinth

Westworld, USA 2016-, ca. 57 Min. je Folge

Westworld | © Warner
© Warner

Serienschöpfer:
Jonathan Nolan
Lisa Joy
Michael Crichton (Vorlage)
Ausführende Produzenten:
Bryan Burk
Jerry Weintraub
Lisa Joy
Jonathan Nolan
J.J. Abrams

Main-Cast:
Evan Rachel Wood (Dolores Abernathy)
Thandie Newton (Maeve Millay)
Jeffrey Wright (Bernard Lowe)
James Marsden (Teddy Flood)
Ben Barnes (Logan)
Ingrid Bolsø Berdal (Armistice)
Clifton Collins Jr. (Lawrence)
Luke Hemsworth (Ashley Stubbs)
Sidse Babett Knudsen (Theresa Cullen)
Simon Quarterman (Lee Sizemore)
Rodrigo Santoro (Hector Escaton)
Angela Sarafyan (Clementine Pennyfeather)
Jimmi Simpson (William)
Tessa Thompson (Charlotte Hale)
Shannon Woodward (Elsie Hughes)
Ed Harris (Man in Black)
Anthony Hopkins (Dr. Robert Ford)

in weiteren Rollen:
Ptolemy Slocum (Sylvester)
Leonardo Nam (Lutz)
Talulah Riley (Angela)
Louis Herthum (Peter Abernathy)
Oliver Bell (Little Boy)
Steven Ogg (Rebus)
Michael Wincott (Old Bill)
Brian Howe (Sheriff Pickett)
Demetrius Grosse (Deputy Foss)
Gina Torres (Lauren)
Lili Simmons (New Clementine)

Genre:
Science-Fiction | Drama | Mystery | Western | Thriller

Trailer:

 

Inhalt:

Die als Freizeit- oder Vergnügungspark vermarktete Anlage "Westworld" – angelehnt freilich an die romantisch verklärten Wild-West-Zeiten – ist so etwas wie der ultimative Eskapismus, denn der Park wird von täuschend echten, absolut menschlich wirkenden Hosts bevölkert, die einerseits als Staffage, andererseits als Quest-Geber und Unterhaltung dienen und mit denen die Gäste im wortwörtlichen Sinne alles machen können, was ihnen überhaupt nur einfällt, wird das Gedächtnis der Hosts schließlich nach Ablauf eines jeden Tages gelöscht und resettet, während eine ganze Abteilung innerhalb der riesigen Anlage damit betraut ist, die Hosts zu reparieren und restaurieren, denn ganz wie man die niedersten Instinkte des Menschen einschätzt, sind nicht wenige Parkbewohner tagein tagaus einzig und allein damit beschäftigt, alles zu ficken und/oder zu erschießen, was ihnen über den Weg läuft. Hinzu kommt, dass die Hosts freilich so programmiert wurden, den Gästen – aus ihrer Sicht "Neuankömmlingen" – kein Haar krümmen zu können, während alles, was nicht in die Realität des Parks passen mag, von den Wesen schlichtweg nicht wahrgenommen wird oder werden kann.

So zumindest die Theorie, denn unter den Hosts befindet sich auch Farmerstochter Dolores, die ein behütetes und glückliches Leben zu führen meint, obwohl doch nicht wenige ihrer Tage mit ihrem Tod enden. Als nämlich ihr Vater Peter eine Fotografie im Staub entdeckt und darüber regelrecht verrückt wird, beginnen alsbald auch bei ihr an den Rändern ihres Bewusstseins Dinge – möglicherweise Erinnerungen – aufzublitzen, die sie nicht einzuordnen versteht. Anders, aber grundsätzlich ähnlich ergeht es der Prostituierten Maeve im nahegelegenen Ort "Sweetwater" dem Ausgangspunkt der Parkbesucher, denn trotz allabendlicher Resets erinnert sie sich immer öfter an Dinge und beginnt sich zusammenzureimen, das etwas mit ihrer Welt und ihrem Dasein absolut nicht stimmen kann. Unterdessen durchstreift ein "Mann in Schwarz" die Parkanlage seit vielen Jahren, um in die tieferen Schichten des Spiels vorzubringen, die sich seiner Meinung nach in einem ominösen Labyrinth manifestieren, dem nachzujagen er nicht müde wird.

Szenenbild aus Westworld | © HBO
© HBO

Fernab des Parks, genauer im Zentrum der weitreichenden Anlage, plant Gründer Robert Ford gerade seinen neuesten Coup in Form einer neuen, nie dagewesenen Geschichte, womit er dem Chef-Storyteller Sizemore freilich gehörig vor den Kopf stößt. Zeitgleich kommt es zu Spannungen zwischen der Qualitätssicherung und der Abteilung "Verhalten" unter der Leitung von Bernard Lowe, denn die Hosts legen nach ihrem letzten Update immer öfter unerwartete Manierismen an den Tag, die sich anscheinend auf Fords Einspeisung mit Erinnerungen verknüpfter Gesten – Reverie genannt – zurückführen lassen. Dem Vorstand von Delos ist Ford mit seinen zunehmend unkalkulierbarer werdenden Alleingängen ohnehin schon lange ein Dorn im Auge und dies könnte womöglich die Gelegenheit sein, den Gründer von seinem Thron zu zerren. Und dann wäre da noch die Geschichte von Logan, Sohn des Delos-Unternehmensgründers, der gemeinsam mit William, seinem Schwager in spe die Anlage besucht und ihn für den Reiz des Wild-West-Abenteuers zu begeistern versucht. William gibt sich allerdings zurückhaltend, zumindest bis er der hübschen Dolores begegnet…

Rezension:

Bereits vom ersten Moment an weiß sich HBOs Westworld als traumwandlerisch schreitendes Epos zu präsentieren, dessen schiere Ausmaße und Einflüsse man hier freilich noch nicht einmal erahnt, derweil bereits in den ersten Momenten und Minuten vieles darauf deutet, dass jedes noch so winzige Detail Bedeutung und Gewicht haben wird. Eine Vermutung, die sich tatsächlich bewahrheiten wird, denn ohne mich zu weit aus dem Fenster lehnen zu wollen, ist mir des Öfteren Kritik an der inhärenten Logik der Ereignisse zu Ohren gekommen, die sich schlicht damit erklären lässt, dass ein Zusammenhang nicht begriffen oder ein Hinweis nicht bemerkt worden ist, denn wirkliche Patzer leisten sich die Macher und Produzenten rund um Serienschöpfer Jonathan Nolan und Lisa Joy eigentlich nicht, was insbesondere im letzten Drittel der Staffel dazu geführt hat, dass ich über die schiere Perfektion dieses Magnum Opus nur staunen konnte, wo sich wirklich jedes Mosaikteil in ein großes Ganzes zu fügen weiß. Das bringt freilich aber auch mit sich, dass Westworld dem Zuschauer an Aufmerksamkeit einiges mehr abverlangt, als man das typischerweise von TV-Serien gewohnt ist, weshalb die Sichtung ohne Frage keine Sache für "nebenbei" oder "zwischendurch" ist und dadurch manchen Zuschauer verprellt haben mag, auch wenn HBO ja seit Jahren für ausgefeiltes und anspruchsvolles Storytelling bekannt sein dürfte.

"Weißt Du, wo Du bist, Dolores?"

Szenenbild aus Westworld | © HBO
© HBO

So eröffnet Westworld mit dem Erwachen von Dolores, einer der rund anderthalb Dutzend Hauptfiguren, wobei selbst etwas so vermeintlich Simples wie das Wort erwachen hier gleich mehrfache Bedeutung erhält, denn was für uns den Übergang vom Schlaf zum Wachsein bezeichnet, funktioniert für die Hosts im Park in zweierlei Richtung. So können sie einerseits in ihrer gewohnten, aber unwissentlich künstlichen Umgebung erwachen, andererseits aber auch in den Techniker- und Befragungsräumen des Delos-Konzerns, wenn sie sich auch in diesem Stadium ihrer selbst nicht bewusst sind. Daraus lässt sich allerdings auch prompt eine der Kernthesen der Serie ableiten, nämlich die Frage, wer womöglich ebenfalls ein Host sein könnte, ob innerhalb oder außerhalb der Parkanlage, da diese sich schließlich ihrer eigenen Künstlichkeit nicht bewusst sind und jedwede Wahrnehmung, die das Selbstbild stören oder auch nur irritieren könnte, schlichtweg ausgeblendet wird, ohne dass sich die Hosts dieser Tatsache bewusst wären. Was woanders aber nur eine Triebfeder für eine schlichte Variation des klassischen Whodunit darstellen würde, ist hier Teil eines nicht nur dramaturgisch wertvollen Parts der Fragestellung um die Bedeutung und Definition des eigenen Seins.

Dabei wird gleichsam unterstellt, die Hosts verfügen über kein "echtes" Bewusstsein, wobei das Verhalten so mancher Figur diese Annahme natürlich Lügen straft, während wiederum die Frage immer im Raum zu schweben scheint, ob nicht eben auch dieses Verhalten programmiert, also extrinsisch hinzugefügt worden sein könnte, statt aus dem inneren Selbst zu entspringen. Neben Dolores wird dieser Ansatz sicherlich am eingängigsten mithilfe der Figur Maeve behandelt, die von einer durchweg großartig aufspielenden Thandie Newton (Solo: A Star Wars Story) verkörpert wird und schneller als den Mitarbeitern des Delos-Konzerns lieb sein kann dahinter kommt, in was für einer Scheinwelt sie ihr Dasein fristet und natürlich, wie sie diese Ketten zu sprengen imstande sein könnte. Der Nährboden für diesen Plot wird ebenfalls in der nicht grundlos überlangen Pilotfolge Das Original (1.01) bereitet, während man anhand von Dolores‘ Befragung durch den Abteilungsleiter "Verhalten" elegant an das elliptische, sich stetig wiederholende Leben der Hosts herangeführt sind. Deren regelmäßiges Vergessen erweist sich von einer objektiven Warte aus zunächst als Segen, denn wie schon in der Inhaltsangabe angedeutet, macht Westworld keinen Hehl aus den niederen Beweggründen der menschlichen Rasse. Folglich fällt den Besuchern dieser Quasi-Variation des Paradieses – in der sie selbst mit gottgleichen Fähigkeiten ausgestattet und unverletzbar sind – oftmals nichts Besseres ein, als mordend und vergewaltigend durch die Täler zu streifen, womit HBO freilich auch seinem durchaus mit Stolz getragenen Ruf gerecht wird, in seiner Darstellung überaus explizit zu sein, ohne dass diese hier je zum Selbstzweck verkommen würden.

Szenenbild aus Westworld | © HBO
© HBO

Um aber noch einmal auf Dolores zurückzukommen, ist sie nicht nur gleichsam die erste Figur als auch der erste (offensichtliche) Host, der dem Zuschauer präsentiert wird, sondern verkörpert im Grunde Dreh- und Angelpunkt der anfänglich noch beinahe überschaubar zu nennenden Ereignisse, denn über ihre Figur wird man nicht nur mit Teddy (James Marsden; Straw Dogs) bekannt gemacht, über dessen Figur man gar nicht viele Worte verlieren kann, ohne ins Spoilern zu geraten, sondern auch nach "Sweetwater" gebracht, in dessen Saloon sich auch Maeve als Prostituierte verdingt, derweil über die Befragungen von Bernard – dem erwähnten Leiter von "Verhalten" die Brücke zu dem hinter allem stehenden Konzern Delos geschlagen wird. Insbesondere durch den abrupten Wechsel zwischen "natürlichem" Verhalten und der Diagnose-Ebene begeistert Evan Rachel Wood (Into the Forest) dabei vom ersten Moment und liefert mühelos die mit Abstand beste Darstellung ihrer bisherigen Karriere ab, was sich im weiteren Verlauf der Staffel noch unterstreichen lassen wird, denn obwohl die Hosts in den ewig gleichen Schleifen zu leben scheinen, erzählt Westworld natürlich nicht die Geschichte dieser Routine, sondern die von deren Ende.

Auf dem Weg ins Labyrinth

Szenenbild aus Westworld | © HBO
© HBO

Kaum hat man also einen flüchtigen Blick auf den als Eskapismus par excellence kreierten Park geworfen, tun sich schon auf Konzernebene erste Probleme auf, die mit dem letzten Update der Hosts zusammenhängen. Diese scheinen nämlich von Park-Begründer Ford manipuliert und um so genannte Reverien ergänzt worden zu sein, die nun die Parameter der Hosts und den ordnungsgemäßen Ablauf ihrer Geschichten stören, was die Qualitätssicherung nun natürlich der Abteilung "Verhalten" in die Schuhe zu schieben versucht. Dergestalt betritt neben dem von Jeffrey Wright (Source Code) verkörperten Bernard nun auch Dr. Robert Ford die Bühne, der von Altmeister Anthony Hopkins – der sich nach seinem Ausflug ins Marvel-Franchise hier wieder auf seine Stärken als Charakterdarsteller besinnt – mit entwaffnendem Charisma und oft regelrecht spöttischem Scharfsinn verkörpert wird. Ein weiteres darstellerisches Zugpferd stellt derweil zweifellos der von Ed Harris (Snowpiercer) dargestellte "Man in Black" dar, über dessen Namen und Herkunft wir ganz bewusst zunächst im Unklaren gelassen werden, auch wenn man sich insbesondere bei einer etwaigen Zweitsichtung auf viele frühe Hinweise freuen darf, was es mit seiner Figur auf sich hat, deren selbst auferlegte Quest, den Eingang zum Labyrinth zu finden, der Staffel auch ihren halboffiziellen Beinamen Das Labyrinth verpasst hat.

Das mag zunächst reichlich überladen klingen für eine Pilot-Episode, doch gelingt es den Autoren tatsächlich, lediglich Neugierde zu schüren und die zahllosen Figuren in Stellung zu bringen, während auch der pure Unterhaltungswert – ganz dem Kredo des Parks folgend – nicht zu kurz kommt, so dass beispielsweise ein von Storyteller Sizemore (Simon Quarterman) initiierter und minutiös geplanter, in seiner Ausführung musikalisch von einem Piano-Arrangement des Klassikers Paint It Black der Rolling Stones begleiteter Überfall zu den inszenatorischen Highlights der ersten Folge zählt. So wird die Szene gleichsam genutzt, die Gesetzmäßigkeiten innerhalb des Parks noch einmal näher zu umreißen als auch die schiere Unberechenbarkeit der Storylines aufzuzeigen, die mitnichten immer so ablaufen, wie selbst deren Autor sich das vorstellt. Gleichsam markiert dies den ersten Auftritt des Gangsters Hector (Rodrigo Santoro, Jane Got a Gun), den nicht nur sein Verlangen nach dem im Saloon befindlichen Safe mit Maeve verbinden wird.

Szenenbild aus Westworld | © HBO
© HBO

Damit allerdings sind noch längst nicht alle Figuren gesetzt, denn allein in der nachfolgenden Episode Das wahre Selbst (1.02) werden uns die beiden Park-Neuankömmlinge Logan und William präsentiert, die ihrerseits einen weiteren Handlungsstrang eröffnen, der – wie aufmerksamen Zuschauern spätestens in der sich anschließenden Episode Der Streuner (1.03) klar werden dürfte – sich auf einer anderen Zeitlinie bewegt, womit die Komplexität der Erzählung durchaus noch ein weiteres Mal bewusst befeuert wird. Dabei scheinen die Rollen zwischen dem von Ben Barnes (The Punisher) verkörperten Logan – draufgängerisch, extrovertiert, laut – und dem von Jimmi Simpson (Hap and Leonard) gespielten William – zurückhaltend, introvertiert, behutsam – zunächst klar verteilt und es widerstrebt dem ruhigen William spürbar, sich wie Logan auf den Parkbesuch einzulassen, zumal es Logan – wie kaum anders zu erwarten – vornehmlich nach Sex und Gewalt verlangt. Insbesondere mit Williams Ankunft im Park wird die Gunst der Stunde aber auch wieder einmal genutzt, um ausgiebiges, aber ungemein stimmiges und unterhaltsames World-Building zu betreiben, wenn der attraktive Host Angela (Talulah Riley, Last Hitman) ihn mit dem passenden Cowboy-Outfit ausstaffiert und ihm die Regeln von "Westworld" erklärt, derweil man Angela für einen späteren Querverweis durchaus im Kopf behalten sollte. Das Ende der Fadenstange ist damit aber noch immer nicht erreicht, denn im Verlauf der sich zunehmend überschlagenden Ereignisse stößt beispielsweise noch Tessa Thompson (Thor 3) als Vorstandsmitglied Charlotte Hale zum Cast, wobei ich, was die späteren Episoden betrifft, gar nicht allzu sehr in die Tiefe gehen möchte, denn jedweder Spoiler würde nur die Faszination der schieren Brillanz der Erzählung untergraben, die sich hier in rund elf Stunden detailliert und akribisch durchkomponierter Dramaturgie zu entfalten anschickt.

Reverie – oder: Träumen Hosts von nächtlichen Instandsetzungsarbeiten?

Szenenbild aus Westworld | © HBO
© HBO

So spannend die ersten Episoden aber auch geraten sein mögen, bilden sie doch im Grunde nur den Nährboden für das zunehmend sowohl in die Breite als auch Tiefe gehende Narrativ, wenn die unterschiedlichen Handlungsfäden sich langsam zu entfalten beginnen, die Fehlfunktionen der Hosts sich häufen, der "Mann in Schwarz" erste Hinweise auf das Labyrinth auszumachen vermag, während Logan und William weiter ins Hinterland des Parks vorstoßen und Maeve sich ihrer Selbst zunehmend bewusst zu werden beginnt. So mag Westworld insbesondere in der ersten Hälfte durchaus an einschlägige Mystery-Serien erinnern, gibt sich aber trotz seiner Fülle an Figuren und Themen nicht annähernd so verworren und es deutet vieles darauf hin, dass hinter alledem auch eine schlüssige Entwicklung und Auflösung steht und nicht lediglich der Effekthascherei wegen fauler Budenzauber inszeniert wird. Und wer aufmerksam und interessiert am Ball bleibt, wird sich in dieser Annahme allerspätestens in Trompe-l’Oeil (1.07) bestätigt sehen, wenn ein Paradigmenwechsel sondergleichen die zwar einerseits die Dramaturgie in einem gänzlich neuen Licht erscheinen lässt, andererseits aber gerade dadurch so schlüssig wirkt, dass man diese Entwicklung durchaus hat vorausahnen können, was die Offenbarung aber nicht weniger wuchtvoll und überzeugend wirken lässt, sondern deren Wirkung im Grunde noch verstärkt.

Diesen besonderen Effekt wird man derweil in der Staffel noch häufiger erleben, denn obgleich die siebte Episode locker als Höhepunkt der Staffel hätte durchgehen können wird, wird sie mit Das wohltemperierte Klavier (1.09) und Die bikamerale Psyche (1.10) noch gleich zwei Mal getoppt werden, wenn Westworld kein Halten mehr zu kennen scheint und gnadenlos und konsequent sämtliche Handlungen und ebenen zusammenlaufen lässt, die in einem rund neunzigminütigen Finale kulminieren, das für sich genommen inszenatorisch wie auch qualitativ einen Großteil heutzutage produzierter Kinofilme locker in den Schatten stellen könnte, wenn da nicht die erzählerische Vorarbeit zum Verständnis nötig wäre, der man sich in den vorangegangenen neun Stunden gewidmet hat. Neben dieser ungemein clever inszenierten Geschichte, die – so wird man sich hier erst wirklich bewusst – im Grunde gerade erst ihren Anfang genommen hat, punktet die HBO-Serie aber gleichsam mit ihrem hochwertigen Produktions-Design, das in seiner anachronistischen Ambivalenz bis zuletzt zu faszinieren versteht, denn allein der Kontrast der erdigen Naturverbundenheit des Wild-West-Szenarios zu den klinisch-unpersönlichen Fluren des Delos-Konzerns ist weit mehr als nur eine Augenweide, während Spielereien wie eine auf dem Gipfel eines Berges errichtete Pool-Anlage die Glaubwürdigkeit des Komplexes nur noch verstärken, deren wahres Ausmaß man bislang wohl nur erahnen kann.

Szenenbild aus Westworld | © HBO
© HBO

Entsprechend vermag Westworld mit seiner eigenwilligen Bildästhetik ebenfalls nicht nur Akzente, sondern Maßstäbe zu setzen, weshalb ich zumindest der ersten Staffel schon jetzt attestieren möchte, dass man noch in Jahren voller Ehrfurcht von ihr sprechen und schwärmen wird, denn dass ein Projekt dieser Ausmaße und Ambitionen in wirklich sämtlichen Belangen so überzeugend ineinandergreift, passiert vielleicht einmal in einer Dekade. Vor allem ist dieser Science-Fiction-Western-Mystery-Mix eben nicht nur bildgewaltig und spektakulär, nicht einfach nur mit Eye-Candy und Action angereicherte Fast-Food-Kost, sondern auch inhaltlich und thematisch intelligent und clever, so dass Fragestellungen nach dem Sein und Selbst, der Psyche, dem Gehirn, der Erinnerung, der Selbstwahrnehmung und freilich der Selbstbestimmtheit allesamt zum Diskurs stehen und weder abschließend beantwortet werden wollen noch können. Dabei bedienen sich die Autoren und Macher verschiedenster Thesen und Ansätze, die sich teils direkt in den Episodentiteln wiederfinden lassen, ob es dabei um die Dissonanztheorie, die Annahme des Spurenzerfalls in Bezug auf im Gehirn gespeicherte Erinnerungen oder die bikamerale Psyche nach Julian Jaynes handelt, die von der Existenz eines früheren "Zwei-Kammer-Geistes" – eines ausführenden und eines befehlenden – ausgeht. Grob gesagt soll seinerzeit der ausführende Teil vom befehlenden Teil angeleitet worden sein, was im Gehirn zu der Annahme geführt haben mag, die Götter sprächen zu einem, weshalb erst nach dem Zusammenbruch dieser Bikameralität die Entstehung eines "echten" Bewussteins möglich war. Da fällt es freilich nicht schwer, die Parallelen zu den Hosts in "Westworld" zu ziehen, gleichwohl ich mit meinen Ausführungen nur an der Oberfläche dessen kratze, was allein in der ersten Staffel thematisiert wird.

Szenenbild aus Westworld | © HBO
© HBO

Größter und bemerkenswertester Verdienst von Westworld ist es aber sicherlich in diesem Zusammenhang, dass sich die Serie ihren Zuschauern von einer Position auf Augenhöhe nähert. Es ist nicht so, dass man bewusst in die Irre geführt werden würde oder mit effekthascherischen Twists bei Laune gehalten werden soll. Es ist nicht so, dass die für HBO typische Exploitation auf Zynismus gründet und uns vor Augen führen soll, dass wir nicht besser sind als die Besucher des Parks. Nein, der ironische Unterton in der selbstreferenziellen und vor allem selbstreflexiven Inszenierung ist erkennbar und auch beinahe jeder Twist ließe sich vorausahnen. Die vielen Fan-Theorien zu unterschiedlichsten Punkten, die am Ende schlichtweg Recht behalten sollten, untermauern diese Annahme noch zusätzlich. Und das ist es, was ich meine, wenn ich von einer Begegnung auf Augenhöhe spreche. Weder hält man noch verkauft man seine Zuschauer für dumm, sondern signalisiert klar und deutlich, intelligente Unterhaltung für eine intelligente Zuschauerschaft schaffen zu wollen, der man eben gerade nicht alles auf dem Silbertablett servieren muss. Und ich für meinen Teil weiß das durchaus zu würdigen und zu schätzen, während ich stark hoffe, dass man sich diesbezüglich auch in der zweiten (und dritten) Staffel treu bleiben wird.

Westworld | Zeichnung von Wulf Bengsch
Westworld | Zeichnung von Wulf Bengsch

 

Fazit & Wertung:

Mit der ersten Staffel Westworld legt HBO ein an Perfektion grenzendes, rund elfstündiges Epos vor, das sich selbstbewusst den großen Themen des Seins und der Moral widmet und philosophische Diskurse geradezu befeuert, während Produktions-Design, Ausstattung und Effekte sowie ein phänomenaler Soundtrack einem hochbudgetierten Kinofilm in nichts nachstehen. Eigentliches Alleinstellungsmerkmal ist aber neben der gelungenen wie anachronistischen Verquickung aus Western und Science-Fiction das ungemein clevere und minutiös durchkonstruierte Storytelling, das Schicht um Schicht die Fassade abträgt, um den inneren Kern sowie den übergeordneten Plan zu enthüllen.

10 von 10 sich ihrer Lage (nicht?) bewusster Hosts

Westworld | Staffel 1: Das Labyrinth

  • Sich ihrer Lage (nicht?) bewusster Hosts - 10/10
    10/10

Fazit & Wertung:

Mit der ersten Staffel Westworld legt HBO ein an Perfektion grenzendes, rund elfstündiges Epos vor, das sich selbstbewusst den großen Themen des Seins und der Moral widmet und philosophische Diskurse geradezu befeuert, während Produktions-Design, Ausstattung und Effekte sowie ein phänomenaler Soundtrack einem hochbudgetierten Kinofilm in nichts nachstehen. Eigentliches Alleinstellungsmerkmal ist aber neben der gelungenen wie anachronistischen Verquickung aus Western und Science-Fiction das ungemein clevere und minutiös durchkonstruierte Storytelling, das Schicht um Schicht die Fassade abträgt, um den inneren Kern sowie den übergeordneten Plan zu enthüllen.

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Episodenübersicht: Staffel 1

01. Das Original (9,5/10)
02. Das wahre Selbst (9/10)
03. Der Streuner (9/10)
04. Dissonanztheorie (9/10)
05. Contrapasso (9,5/10)
06. Der Widersacher (9,5/10)
07. Trompe-l’Oeil (10/10)
08. Spurenzerfall (9,5/10)
09. Das wohltemperierte Klavier (10/10)
10. Die bikamerale Psyche (10/10)

 
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Westworld | Staffel 1 ist am 23.11.17 auf DVD, Blu-ray und 4K UHD Blu-ray im Vertrieb von Warner Home Video erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!

DVD:

Blu-ray:

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